Rechtsexperte
Kartellrecht darf nicht für gesetzliche Krankenkassen gelten
21. November 2010 | Gesetzliche Krankenversicherung Drucken | Weiterempfehlen |Als „schwerwiegenden Eingriff in die Handlungsspielräume der Krankenkassen“ kritisierte Peer Michael Dick, der alternierende Vorsitzende des Verwaltungsrates der AOK Baden-Württemberg, die Pläne der Bundesregierung, das Kartellrecht auf die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) anzuwenden.
„Die soziale Krankenversicherung würde damit leichtfertig und vor allem ohne Not wie ein Privatunternehmen behandelt mit weitreichenden, negativen Folgen für die Beitragszahler“, so Dick am Mittwoch (17.11.2010) in Stuttgart im Rahmen der Veranstaltungsreihe “AOK im Dialog” vor rund 300 geladenen Gästen aus Gesundheitswesen, Politik und Wirtschaft.
„Was der Gesetzgeber in seinem Vorgehen missachtet ist, dass die gesetzliche Krankenversicherung einen eigenständigen Versorgungsauftrag hat und sich nicht ungebunden in einem Markt bewegt“, sagte Dick weiter. So könne die GKV nie und nimmer mit dem Automarkt oder sonst einer Branche der Privatwirtschaft gleichgesetzt werden. Die eigentliche Absicht des Gesetzgebers sei es, der GKV wirksame Kosteninstrumente für Preisverhandlungen wieder wegzunehmen und so indirekt in die Geldbeutel der Versicherten und Arbeitgeber zu greifen. Die Krankenkassen werden jetzt Einsparungen nicht mehr wie bisher heben können. Allein die Arzneirabattverträge würden das AOK-System bis Ende 2010 um insgesamt 520 Millionen Euro durch Einsparungen entlasten.
Unterstützung erhält die AOK von rechtswissenschaftlicher Seite: „Die GKV braucht das Kartellrecht nicht. Im Sozialrecht sind bisher bereits Regelungen verankert, die den Missbrauch von Marktmacht verhindern“, so der Rechtsexperte Prof. Dr. Thorsten Kingreen bei der AOK-Veranstaltung. Auch mittelfristig sieht er keine Notwendigkeit, die GKV in den kompletten Geltungsbereich des Kartellrechts hinein zu ziehen. Aus seiner Sicht wäre ein GKV-Regulierungsrecht sinnvoller, welches auf die Besonderheiten des Gesundheitswesens zugeschnitten ist. Die geltenden öffentlich-rechtlichen Bindungen wie Grundrechte, Anwendung von Vergaberecht und Schiedsverfahren könnten dafür die Basis sein.
Der Gesetzgeber müsse aber dringend für Klarheit sorgen, „weil die uneingeschränkte Anwendung des Kartellrechts insbesondere ein rechtlich sehr fragwürdiges Wirrwarr an Behördenzuständigkeiten bei der Aufsicht über die Krankenkassen mit sich bringt. Geschieht dies nicht, können die Krankenkassen Einsparpotentiale nicht nutzen und Kostensteigerungen nicht vermeiden“, so Kingreen weiter.
Die AOK-Rabattverträge
Mit den Rabattverträgen hat die AOK-Gemeinschaft aktuell 155 Wirkstoffe unter Vertrag. Insgesamt sind derzeit 41 pharmazeutische Unternehmen Vertragspartner der AOK. Seit dem Start der Rabattverträge im Jahr 2007 haben sich 40 Pharma-Unternehmen gegen den Abschluss von Rabattverträgen zur Wehr gesetzt. Insgesamt wurden deshalb über 100 Verfahren durchgeführt.
Unterschied Vergaberecht und Kartellrecht
Das Kartellrecht ist für Privatunternehmen zuständig und soll vor Nachfragemacht und Marktmachtmissbrauch schützen.
Das Vergaberecht wendet sich an öffentliche Einrichtungen (wie z. B. Krankenkassen) und soll dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge in einem nachprüfbaren, objektiven, willkürfreien Verfahren vergeben werden.